BGH-Urteil Tatsächlicher Reparaturaufwand muss bezahlt werden, auch wenn Gutachter die Kosten höher ansetzte

Von Doris Pfaff

Kann der Wagen entgegen der Gutachterschätzung doch unterhalb der 130-Prozent-Grenze repariert werden, muss die Versicherung dafür zahlen. Die entschied nun der Bundesgerichtshof.

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Nach einem Unfall überschreiten die Reparaturkosten oft den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs. Liegen die Kosten zu hoch, muss die Versicherung nur den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes zahlen. Einen Ausnahmefall verhandelte nun der BGH.
Nach einem Unfall überschreiten die Reparaturkosten oft den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs. Liegen die Kosten zu hoch, muss die Versicherung nur den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes zahlen. Einen Ausnahmefall verhandelte nun der BGH.
(Bild: gemeinfrei / Pixabay )

Wenn ein Sachverständiger nach einem Unfall zu dem Ergebnis kommt, dass die Reparaturkosten eines Fahrzeugs 130 Prozent seines Wiederbeschaffungswertes übersteigen, das Fahrzeug also nicht mehr reparaturwürdig ist, dann brauchte bisher die Versicherung die Reparaturkosten nicht zu zahlen. Der Geschädigte hatte nur Anspruch auf den Wiederbeschaffungswert und Restwert seines Fahrzeugs.

In seinem Urteil vom 16. November 2021 sprach der Bundesgerichtshof (BGH) einem Geschädigten jedoch den Anspruch auf Übernahme der Reparaturkosten zu, obwohl das erste Gutachten die Reparaturkosten oberhalb der 130-Prozent-Grenze ausgewiesen hatte. Der Halter hatte trotz des Gutachtens seinen Wagen nachweisbar fachgerecht reparieren lassen, konnte dabei jedoch – entgegen den Angaben des Gutachters – unterhalb der 130-Prozent-Grenze bleiben.

Zum Fall: Nach einem Verkehrsunfall im Jahr 2015 hatte der Gutachter der Haftpflichtversicherung des Fahrzeughalters die Reparaturkosten auf circa 7.150 Euro beziffert, der Wiederbeschaffungswert lag bei 4.500 Euro und der Restwert bei 1.210 Euro. Die Versicherung regulierte im Anschluss jedoch unter Abzug eines höheren Restwertgebots nur den Wiederbeschaffungsaufwand.

Damit gab sich der Geschädigte nicht zufrieden und ließ sein Fahrzeug in einer Werkstatt für knapp 6.000 Euro reparieren. Die Reparaturkosten lagen somit also noch unterhalb der Obergrenze. Anschließend nutzte er es weiter. Weil die beklagte Versicherung die vom Geschädigten verlangte Differenz von rund 2.615 Euro zwischen den angefallenen Reparaturkosten und dem von der Versicherung gezahlten Wiederbeschaffungsaufwand nicht zahlte, klagte der Autobesitzer. Da aber der Nachweis, dass das Fahrzeug tatsächlich wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt werden konnte, schwierig zu erbringen war, landete der Fall schließlich beim Berufungsgericht.

Halter wies die fachgerechte Reparatur nach

Der BGH berief sich in seiner Urteilsbegründung auf den erbrachten Nachweis des Halters, dass der Wagen in diesem Fall tatsächlich vollständig und fachgerecht zu Kosten unterhalb der 130-Prozent-Grenze repariert werden konnte und dass er den Wagen anschließend weiter nutzte. Grundsätzlich dürfe der Anspruch auf Übernahme der Reparaturkosten nicht bereits daran scheitern, dass ein Gutachten voraussichtliche Reparaturkosten von mehr als 130 Prozent des Wiederbeschaffungswerts ausweist, so der BGH.

Aus Sicht der Rechtsabteilung des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) ist das Urteil für den Fahrzeughalter zwar erfreulich, dürfte aber in der Praxis kaum eine Rolle spielen und eher die Ausnahme darstellen. „Zwar kann das Urteil einem Geschädigten gewisse weitere Möglichkeiten eröffnen, sein Fahrzeug nach einem Unfall reparieren zu lassen (insbesondere bei älteren Fahrzeugen mit geringerem Wiederbeschaffungswert). Allerdings ist es unabhängig davon für einen Geschädigten nach wie vor risikoreich und schwierig, die Fachgerechtigkeit und Vollständigkeit der Instandsetzung nachzuweisen“, sagt Stefan Laing aus der ZDK-Rechtsabteilung.

Das Fahrzeug, um das sich der Rechtsstreit drehte, verkaufte der Halter übrigens noch während des laufenden Verfahrens. Laut gültiger Rechtsprechung muss ein Unfallfahrzeug, dessen Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen, mindestens noch sechs Monate gefahren werden. Bis der BGH sein Urteil gefällt hatte, war diese Frist abgelaufen.

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