Fahrzeugdesinfektion Versicherer gegen den Rest der Welt
Schutz vor dem Coronavirus hat oberste Priorität – für die Mitarbeiter in der Werkstatt wie auch für die Kunden. Doch manche Versicherungen lehnen es ab, die Desinfektionskosten zu erstatten. Zu recht? Einige Gerichte sagen ganz klar: „Nein“! Auch die IFL hat ihre Liste frei wählbarer Arbeitspositionen um die Desinfektionsmaßnahmen erweitert.
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Die Interessengemeinschaft Fahrzeugtechnik und Lackierung (IFL) hat ihre Liste frei wählbarer Arbeitspositionen (IFL-Liste), die auch in allen gängigen Kalkulationssystemen hinterlegt ist, um die Position 85 erweitert. Hier geht es um die „Fahrzeugdesinfektion zum Schutz von Mitarbeitern und Kunden vor dem Corona-Virus (SARS CoV-2 / Covid 19). Die Position 85 betrifft gleichfalls alle Vermietfahrzeuge/Ersatzfahrzeuge. Der Beschreibungstext der Pos. 85 lautet:
Nach Umfrage bei den Fachbetrieben haben sich im Wesentlichen zwei Arten der Fahrzeugdesinfektion in der Branche durchgesetzt:
- – Wischdesinfektion mit Feuchttüchern, oder handelsüblichen Reinigern und Einmaltüchern
- – Fahrzeugdesinfektion durch Kaltvernebelung von Natriumhypochlorid
Durch beide Maßnahmen werden die Arbeitsschutzvorgaben der BGen erfüllt. Um einen effektiven Schutz von Mitarbeitern und Kunden zu gewährleisten, sind die Reinigungs-/ Desinfektionsarbeiten bei Annahme des Fahrzeugs und vor Rückgabe an den Kunden durchzuführen. Hierfür empfiehlt die IFL-Liste 3 AW pro Fahrzeug zzgl. 7,50 Euro Netto für das Verbrauchsmaterial anzusetzen. Diese Werte gelten für Pkw und sollten für SUV bzw. Kleinbusse entsprechend angepasst werden.
Die Werte wurden in einer gemeinsamen Studie mit dem Allianz Zentrum für Technik (»F+K« berichtete) ermittelt. Allerdings beeilte sich das AZT mit der ZKF-Veröffentlichung mitzuteilen, dass aus der Studie keinerlei Berechnungsanspruch abzuleiten ist.
Genau das sehen inzwischen einige Gerichte anders.
Rechtsanwalt Joachim Otting hat in der »Fahrzeug+Karosserie« Ausgabe 11/2020 die entsprechenden Urteile wie folgt zusammengefasst:
„Ausgerechnet vor dem AG Heinsberg (Heinsberg war der erste Corona-Hotspot in Deutschland) wollte es ein Versicherer wissen. Das Gericht sagt: „Es sind auch die Kosten für die Fahrzeugdesinfektion zu erstatten. Eine solche ist in Zeiten der Corona-Pandemie nach erfolgter Reparatur eines Fahrzeugs, die ein Berühren des Fahrzeugs durch Dritte erfordert, notwendig. Der Betrag ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden, sondern für den Material- und Arbeitseinsatz angemessen (§ 287 ZPO).“ Es entschied über einen Betrag von 60,87 Euro (AG Heinsberg, Urteil vom 4.9.2020 – 18 C 161/20). Das AG Aichach entschied: „Hinsichtlich der Maßnahmen zur Ansteckungsvermeidung erscheint dem Gericht nachvollziehbar, dass in der derzeitigen Pandemiesituation zusätzlicher Aufwand getrieben werden muss. Ein Sachaufwand von 15 Euro netto und ein zusätzlicher Arbeitsaufwand von 43,50 Euro netto für Desinfektionsmaßnahmen, Abdeckungen und längere Betriebsabläufe wegen Abstandsvorschriften sind ohne weiteres nachvollziehbar.“ Und weiter: „Es handelt sich zweifelsohne um Maßnahmen, die in der derzeitigen Lage erwartet werden dürfen und damit auch konkludent vertraglich vereinbart sind.“ (AG Aichach, Urteil vom 29.9.2020 – 101 C 560/20).
Kein Einfluss auf die Abrechnung Das AG Kempten (Allgäu) sieht sehr richtig, dass es gar nicht darauf ankomme, ob die Desinfektionsmaßnahmen sinnvoll seien. Denn der Geschädigte habe keinen Einfluss darauf, wie die Werkstatt vorgehe und wie sie abrechne. Und dann ergänzt es: „Nachdem das Fahrzeug aufgrund des Verkehrsunfalls vom 9.5.2020 instand zu setzen war, sind auch die dadurch angefallenen Covid-Reinigungskosten zur Durchführung der Reparatur adäquat kausal durch den Unfall verursacht. Diese stellen nicht lediglich allgemeine Arbeitsschutzmaßnahmen dar, sondern sind gerade Teil des konkreten jeweiligen Reparaturauftrages und damit im Rahmen der Schadensbeseitigung vereinbart. Darüber hinaus hat sich im vorliegenden Parteienverhältnis die Schadensbetrachtung nicht nur an objektiven Kriterien zu orientieren, sondern ist nach der Rechtsprechung des BGH subjektbezogen.“ (AG Kempten/Allgäu, Urteil vom 14.10.2020 – 6 C 844/20). Das AG München ist ganz konsequent. In einer Verfügung hat es den Versicherer darauf hingewiesen, dass es sich nur mit der Frage des Einflusses des Geschädigten beschäftigen werde, nicht aber inhaltlich mit den Desinfektionskosten (AG München, Verfügung vom 30.9.2020 – 331 C 13198/20).“
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